SCHNAPS, DAS WAR SEIN LETZTES WORT: Ein Eckkneipen-Rundgang mit Musik
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Überall im Quartier gibt es engagierte Menschen, die durch Eigeninitiative in Projekten und Aktivitäten dazu beitragen, eine neue Perspektive auf das Bahnhofsviertel zu öffnen. Das Blog theycallitkleinparis betrieben von Alexandra Wehrmann entwickelt seit geraumer Zeit kontextspezifische Führungen. Diesmal geht es in die dezimierte Landschaft der Eckkneipen:
„Eckkneipen sind eine aussterbende Spezies. Und das hat nicht nur mit dem Rauchverbot zu tun. Sondern auch damit, dass einfach keine jungen Gäste nachkommen. Viele der alteingesessenen Schankstuben mussten daher in den vergangenen Jahren bereits das Feld räumen. ‚Zum Blauen Bock‘ auf der Ellerstraße hat es ebenso erwischt wie die ‚Sonnenschänke bei Sylvia‘ oder das ‚Zum neuen Wolkenkratzer‘. Sie machten Platz für Sisha-Bars, wurden zu Wohnraum umfunktioniert oder stehen seit der Schließung schlichtweg leer. Ein paar alteingesessene Trinkstätten aber haben durchgehalten und stillen bis heute den Flüssigkeitsbedarf ihrer allzeit durstigen Gäste. In einer Zeit, in der jede Einkaufsgalerie nach Hippness verlangt, sind in Schankstuben wie dem ‚Roten Teppich‘ die Wände noch holzgetäfelt. Statt Elektronischem liefert der Schlager-Sender ‚Radio Paloma‘ den Soundtrack zum Gelage. Und die Wirte sind waschechte Unikate, die nicht jede Frage ihrer Gäste mit ‚sehr gerne‘ beantworten. In den Eckkneipen ist jeder Jeck anders und darf es auch sein. Hier spielt das wahre Leben. Das ist keinesfalls immer lustig, schön und glamourös. Sondern beizeiten langweilig, hart oder einfach nur traurig. Dann aber ist es gut, dass hinter dem Tresen jemand steht, der zuhört. Und der Zugriff auf einen schier unendlichen Vorrat an Hochprozentigem hat.
Der Rundgang ‚Schnaps, das war sein letztes Wort‘ führt zu fünf ausgesuchten Feuchtbiotopen hinter dem Bahnhof. In jedem Lokal wird Moderator Michael Wenzel (der fest versprochen hat, nüchtern zu bleiben!) zunächst einen kurzen Plausch mit dem Herrn respektive der Dame des Hauses halten. Im Anschluss werden Getränke mit Namen wie ‚Querschläger‘ oder ‚Ossenkämper‘ verkostet, die garantiert die Zunge lockern. Was wiederum gut ist, denn gesungen werden soll auch. Vorsänger und Gitarrist Sebastian Hartmann interpretiert ausdrücklich Alkohol verherrlichendes Liedgut mit dem ihm eigenen Fantasie-Dialekt völlig neu. Mitsingen erwünscht. Zum Alkohol möchten wir hingegen niemanden zwingen. Natürlich haben die aufgesuchten Etablissements auch Cola und Wasser im Angebot. Aber geiler wär‘s schon, wenn alle kornblumenblau wären.“
Alexandra Wehrmann