Christine und Irene Hohenbüchler
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Christine und Irene Hohenbüchler

CHRISTINE UND IRENE HOHENBÜCHLER
BARBARA KEMPNICH
BAHNHOFSMISSION

 

WUNDERKAMMERN DES QUARTIERS

 

Ort:
Immermannhof 68

 

Text:
Raimar Stange

 

English version

Eine Wunderkammer mitten im Bahnhofsquartier – das ist fast ein Wunder. Waren Wunderkammern doch einst kultureller Spielplatz der Mächtigen und Reichen und damit von Menschen, die heute nicht an so unwirtlichen „Un-Orten“ wie einem Bahnhofsquartier wohnen, arbeiten oder leben würden. In diesen Wunderkammern waren Kuriositäten, Raritäten und künstlerische Kostbarkeiten versammelt, die nicht wie später in den Museen nach systematischen Gesichtspunkten streng gegliedert, sondern nach Qualitäten wie Faszination und Liebhaberei zusammengestellt wurden – und nicht zuletzt auch dem prestigefördernden Ausdruck individueller Macht dienten.

 

Die Wunderkammer, die Christine und Irene Hohenbüchler in enger Zusammenarbeit mit Barbara Kempnich von der Bahnhofsmission und im Bahnhofsquartier lebenden beziehungsweise arbeitenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern, darunter auch Besucher der Bahnhofsmission, im Sommer 2018 im Düsseldorfer Bahnhofsquartier im Rahmen der Ausstellung Von fremden Ländern in eigenen Städten vorstellten, knüpft an die Historie der Wunderkammer an und distanziert sich zugleich von dieser. Eine Verbindung besteht darin, dass auch diese Wunderkammer auf systematische, akademisch-elitäre Kategorisierungen verzichtet und stattdessen auf die (Un-)Ordnungen emotionaler Werte setzt. Distanzieren tut sie sich von der Tradition der historischen Wunderkammer, da ihre „Wunderkammer von unten“ keine Machtdemonstration der Happy Few darstellt, sondern eine auf Machtgepose verzichtende Präsentation „einfacher“, zum Teil am Rande des Existenzminimums lebender Menschen ist. Zudem wurde diese Wunderkammer nicht von einem souveränen Einzelsammler zusammengestellt, sondern von einer sich solidarisch in ihr vereinenden Gruppe.

Da waren also in einem leer stehenden, ebenerdigen Ladenlokal im Immermannhof 68, Karlstraße/Ecke Friedrich-Ebert-Straße weiße, von Christine und Irene Hohenbüchler entworfene Objekte aufgestellt, die sowohl als Sitzmöbel wie auch als Podest und Display fungieren konnten. Auf diesen minimalistisch designten Hybriden wurden diverse Objekte präsentiert – so etwa selbstgebastelte Fabelwesen, Handschuhe, eine „Schwulenfahne“ in einem Koffer voller „Krimskrams“, Zeichnungen, poetische Kleinskulpturen, kunstvoll gefaltete Origamifiguren … Auf einem Fenster des Raums waren außerdem Texte zu lesen, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Wunderkammer selbst verfasst hatten. Es handelte sich um poetische, teilweise sehr persönliche Texte, die Einblicke in die psychische Verfasstheit der im Bahnhofsquartier lebenden Menschen und ihre alltäglichen Ängste und Hoffnungen gaben.

 

In dieser Wunderkammer wurde aber nicht nur ausgestellt, sondern auch in unterschiedlicher Form aktiv kommuniziert und miteinander agiert. So trafen sich hier Menschen auf einen Kaffee und unterhielten sich angeregt miteinander, es wurde Musik gehört und gemacht – vorrangig Lieder, die zuvor immer wieder in der Düsseldorfer Bahnhofsmission zu hören waren. „Jeder konnte nach seinen Fähigkeiten etwas einbringen“, erklären die beiden Künstlerinnen frei nach Joseph Beuys’ Diktum „Jeder Mensch kann ein Künstler sein“ diesen Aspekt ihres sozial und künstlerisch engagierten Projekts.

WUNDERKAMMERN DES QUARTIERS

 

A Wunderkammer, or cabinet of curiosities, in the middle of the central station district—it’s almost a wonder in itself. After all, such repositories used to be cultural playgrounds for the rich and powerful—hardly for those living and working in inhospitable “non-places” such as this central station district. In those Wunderkammern of the past, curiosities, rarities, and artistic treasures were collected not according to strictly systematic principles, as they would be later in museums, but rather according to their qualities of fascination and for antiquarian pleasure—plus, not least, as a prestigious expression of individual power.

 

Christine and Irene Hohenbüchler’s Wunderkammer (2018) was developed in close collaboration with Barbara Kempnich and the Bahnhofsmission as well as with others who live or work in the central station district, including visitors to the Bahnhofsmission who participated in the exhibition Von fremden Ländern in eigenen Städten in the summer of 2018. The Hohenbüchlers’ work draws on the history of the Wunderkammer while at the same time distancing itself from it. Their Wunderkammer shares in the tradition by avoiding systematic, elitist academic categorizations, relying instead on the (dis)order of emotional values. Yet it also distances itself from the historical practice, since their “Wunderkammer from below” is hardly a show of power for the happy few, rejecting power posturing in favor of a presentation by “simple” people often struggling to survive. Furthermore, these Wunderkammern aren’t compiled by a sovereign collector, but rather by a solidary group united through their participation in the project.

Thus, in an empty, street-level store at Immermannhof 68, on the corner of Karlstraße and Friedrich-Ebert-Straße, Christine and Irene Hohenbüchler installed self-designed white objects which could function as seating as well as pedestals and displays. Diverse objects were presented on these minimally designed hybrids, such as self-crafted chimeras, gloves gesturing in sign language, a “gay flag” in a suitcase full of “knick-knacks”, drawings, small poetic sculptures, artfully folded origami figures, and so on… There were also texts written on the shop window, composed by the Wunderkammer’s participants; they are poetic and at times very personal, which offering insights into the psyches of those living in the central station district, their everyday hopes and fears.

 

This Wunderkammer not only functioned as a display, it was also a stage for active communication and various forms of interaction. People met here “for a coffee” and to have animated discussions. Music was listened to and played, especially songs that one would often hear playing in Düsseldorf’s Bahnhofsmission. “Each person could contribute something according to their abilities,” the artists explain—drawing on Joseph Beuys’ dictum “everyone can be an artist” with regard to this aspect of their socially and artistically engaged project.