ANDREAS SIEKMANN
ALLGEMEIN, UNMITTELBAR, FREI, GLEICH UND GEHEIM
Ort:
Dreieckstraße / Ecke Lessingstraße
Text:
Raimar Stange
Auf den ersten Blick mag man an eine Baustelle denken, die mitten in dem verrufenen Düsseldorfer „Maghreb-Viertel“, Dreieckstraße/Ecke Lessingstraße, errichtet wurde. Auf den zweiten Blick jedoch erkennt man, dass da „irgendetwas nicht stimmt“: Warum sind auf dieser Hebebühne in luftiger Höhe verschiedene Wahlkabinen aufgestellt? Warum sind an dem vermeintlichen Bauzau n Schautafeln in strengem Grau-Weiß angebracht, auf denen schematisch reduzierte Piktogramme menschlicher Figuren zu sehen sind, die durch Texte kommentiert werden? Auf dem oberen Rand des Bauzauns sind Buchstaben angebracht, die „Allgemein unteilbar frei gleich und geheim“ ergeben. Diese Worte – und das ist des Rätsels Lösung – sind der Titel des Beitrags von Andreas Siekmann zur Ausstellung Von fremden Ländern in eigenen Städten.
Es sei ein dritter und vierter Blick auf die Installation geworfen, der diese Arbeit genauer fokussiert. Da stehen also Wahlkabinen auf einer Hebebühne, in diversen Farben und Formen und aus unterschiedlichen Ländern. Siekmann weist mit seiner Aufstellung dieser Wahlkabinen in etwa zehn Metern Höhe und der sich daraus ergebenden Unerreichbarkeit der Kabinen darauf hin, dass vielen zum Teil schon jahrzehntelang in Deutschland lebenden, arbeitenden und steuerzahlenden Menschen – und gerade im „Maghreb-Viertel“ wohnen viele, auf die das zutrifft – das Wahlrecht immer noch verwehrt ist, und das, obwohl es bereits seit den 1980er- Jahren von Aktivisten eingefordert wird.
Das Bürgerrecht auf freie Wahlen ist auch im deutschen Grundgesetz verankert. Die Worte „allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim“ in Artikel 38 charakterisieren dieses Wahlrecht – eben die Worte, die Siekmann auf seinem „Bauzaun“ in grauen Buchstaben angebracht hat. Dieses Moment seiner Installation klärt also auf über die rechtlich verabredeten Modalitäten unserer Demokratie. Gleichzeitig mahnt es an, diese Modalitäten in die Tat umzusetzen.
Im dritten Teil der Installation werden dann prekäre Aspekte der Globalisierung problematisiert. Mit Piktogrammen, die stilistisch auf die künstlerisch- engagierte Ästhetik der „Kölner Progressiven“ der 1920er- und frühen 1930er-Jahre anspielen, werden vier Themenfelder angesprochen: Auf einer Wand ist die Entwicklung der Arbeitsmigration seit Gründung der BRD dokumentiert; auf der nächsten ist eine Statistik der Flüchtlinge mit Asylantrag seit 1991 dargestellt; eine dritte Wand ist den Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 gewidmet; die vierte zeigt einen Wahlzettel, auf dem die Pfeile, die eigentlich auf die Kreise für das „Kreuzchen“ deuten, nach oben zeigen – hin zu den unerreichbaren Wahlkabinen. Bei den drei ersten Wänden führen Texte jeweils in die Themen ein. Sie stehen alle in einem Zusammenhang, der sich kurz so beschreiben lässt: Flüchtlinge sind billige Arbeitskräfte für den Kapitalismus inklusive seiner Waffenindustrie. Ihr „Erfolg“ führt zu weiteren Flüchtlingen, was wiederum eine wachsende Ausländerfeindlichkeit nach sich zieht.
Dank seiner Komplexität, die trotzdem allgemein verständlich ist, kann sich Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim selbstbewusst als kritische Gegenöffentlichkeit im Umfeld des Düsseldorfer Bahnhofs behaupten.
At first glance, you might think of a construction site erected on the corner of Dreieckstraße and Lessingstraße, right in the middle of Düsseldorf’s infamous “Maghreb district.” But soon enough you realize something isn’t quite right here. Why are there various voting booths set up on the lift platforms high in the air? Why is the ostensible construction fence lined with austere black-and-white billboards showing schematic human pictograms annotated with text? Along the fence, someone has mounted letters to form the phrase Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim (general, direct, free, equal and secret). These words, the solution to our mystery, are the title of Andreas Siekmann’s contribution to the exhibition Von fremden Ländern in unseren Städten.
By the third or fourth glance, the installation starts coming into focus. The voting booths of varying forms and colors have been taken from different countries. By installing them at a height of over ten meters, Siekmann points to the inaccessibility of the voting cabinets and the fact that many people in Germany—including those who have lived, worked, and paid taxes here for decades, especially in the “Maghreb district”—still do not have the right to vote. Even though activists have been demanding these rights since the 1980s. The civil right to vote is stipulated in the German constitution. The words “allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim” (general, direct, free, equal and secret) describe this right to vote in Article 38—precisely the words that Siekmann has applied in gray letters to the “construction fence.” This part of the installation informs us about the legally ordained modalities of our democracy. At the same time, it threatens to actually implement these modalities, since many of our fellow humans living in Germany are still being denied this right.
The third part of the installation problematizes the more precarious aspects of globalization. The pictograms installed along the walls draw on the politically engaged aesthetic of the artist group from the 1920s and early 1930s known as the “Cologne Progressives.” The images address four themes: one wall documents the development of labor migration since the BRD’s founding; the next depicts refugees with an asylum application from 1991; the third is devoted to the deceased victims of right-wing violence since 1990; the fourth shows a voting slip, where the arrow that usually points to the circles to be “crossed off” points upwards to the inaccessible voting cabinets above. The texts on the first three walls introduce the respective themes which are all interrelated and can be described as such: refugees are a cheap labor force for capitalism, including the arms industry whose “success” only leads to more refugees, which in turn contributes to growing xenophobia.
Thanks to the complexities outlined above, which are nonetheless universally understandable, Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim (2018) can confidently assert a critical counter-public in the district surrounding Düsseldorf’s central station