CHRISTIAN ODZUCK
ULTRA EX ORBIT
Ort:
Platz am Immermannhof
Text:
Sabine Maria Schmidt
Eine Stadt ist mit ihren urbanen Strukturen und Architekturen dynamischen Veränderungen und unterschiedlichen Zeitlichkeiten unterworfen. Der Umgang mit der in die Jahre gekommenen Nachkriegsarchitektur ist ein zentrales Thema des Künstlers Christian Odzuck geworden. Mit sicherem Gespür für drohende Gebäudeabrisse und gravierende Umbauten, mit sorgfältiger Beobachtung und Recherche zu ehemaligen Sanierungen oder bereits beseitigten Gebäuden hat er eine eigene künstlerische Strategie skulpturaler Architekturinszenierung entwickelt.
Odzuck arbeitet mit Bestandteilen vorgefundener Abrissarchitektur. Er entwickelt aus ihren Fragmenten und eigenen Ergänzungen (oft begehbare) Installationen. Eine Strategie, die an die jahrhundertealte Tradition der Spolien erinnert: Übriggebliebene Kostbarkeiten zerstörter oder verfallener Gebäude werden in Neubauten wiederverwendet. Oft geschah diese durchaus nachhaltige Wiederverwertung aus reinem Pragmatismus. Nicht selten ging damit aber auch eine wertschätzende gestalterische oder gar kulturpolitische Aussage einher.
Odzucks Augenmerk auf Spolien ist modernistisch und fern von sentimentaler Retro-Nostalgie. In seinen Skizzen denkt er frei, schrankenlos und gerne in großen Formaten – so groß wie so mancher Architekt in ihrer Zeit. Mit seinen Ideen ist er gedanklich bereit, auch Berge zu versetzen. Am Anfang seiner Arbeit stehen Studien und Modelle, dann folgt der unbedingte Wille zur Ausführung, die durchaus auch einmal scheitern kann. Bei den Skulptur Projekte Münster 2017 war er mit der besonders großen Architekturskulptur OFF OFD aufgefallen, bei der er verschiedene Bauelemente eines abgerissenen Gebäudekomplexes der Oberfinanzdirektion in Münster wieder in Szene setzte. Im Zentrum standen ein weißer, das Gebäude umgebender Treppenaufgang, ein originaler Flutlichtstrahler eines ehemaligen Parkdecks und Mauerwerke der Außenfassade. Man musste nicht das Original kennen oder von ihm wissen, um die Arbeit wertzuschätzen, doch war das hilfreich, um sie genauer zu entschlüsseln.
Das gilt auch für das merkwürdig fragmentierte Objektensemble am Platz vor dem Immermannhof, an dem der Künstler parallel arbeitete. Die improvisierte Installation Ultra ex orbit wirkte wie ein stillgelegtes Bauvorhaben, das eine neue Zukunft sucht; wie ein aus der Zeit gefallenes Versatzstück, das noch nicht den richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt gefunden zu haben scheint. Die Herleitung der Elemente des Ensembles, die architektonischen Zitate, die hier zusammenkommen sollen, weiß der Künstler auf Schautafeln präzise zu beschreiben: Fassadenteile des ehemaligen Klosters an der Franziskanerkirche (als Bänke), riesige Betonträger, ein Fragment eines Campanile, ein eiserner Wetterhahn, eine hoch aufragende Laterne und ein hängender, offener Kubus aus dem ehemaligen Postgebäude.
Bereits 2014 war Odzuck der aus einem Stück gegossene Beton-Campanile des zum Abriss freigegebenen Franziskanerklosters ins Auge gefallen. Geplant war zunächst, den Glockenturm schlichtweg zu bewahren und zu versetzen. In einer Gruppenausstellung ließ er den Turm illuminieren, um auf ihn als Präziose aufmerksam zu machen. Tatsächlich wäre ein Neubau des Turms weitaus günstiger gewesen als die fast unmögliche Demontage des Originals, das nicht mehr erhalten werden konnte. Odzuck gelang es schließlich, eine Baufirma zu finden, die seine Neuinterpretation des Campanile- Ensembles realisierte, doch konnte das Stück dann trotz professioneller Planung aus statischen Gründen am Projektort nicht aufgebaut werden – unerwartet wurde ein in den Plänen nicht verzeichneter stillgelegter Tunnel unter der Straße „wiederentdeckt“. Die Genese des Projekts forderte also einmal mehr einen entscheidenden Perspektivwechsel. Odzuck, der künstlerisch daran erinnert, dass nicht immer alles dem Boden gleichgemacht werden muss, wird sich um weitere Versetzungen Gedanken machen.
A city, with its urban structures and architecture, is subject to dynamic changes and different temporalities. Dealing with outdated postwar architecture has become one of Christian Odzuck’s central artistic themes. With a keen sense for impending demolitions and major building alterations, along with careful observation and research of former renovations or demolished buildings, he has developed his own artistic strategy of sculptural architectural presentations.
Odzuck works with elements of found demolition architecture. From these fragments and his own additions, he develops installations that are often accessible. A strategy reminiscent of the centuries-old tradition of spolia: the reusing of treasures from destroyed or dilapidated buildings in new buildings. This thoroughly sustainable reclamation often took place out of pure pragmatism, yet a respectful artistic statement or even a cultural and political one was not uncommon.
Odzuck’s focus on spolia is modernist and far from sentimental, retro nostalgia. In his sketches he thinks freely and without limits, favoring large formats— as large as those of some architects in their time. With his ideas he is even mentally prepared to move mountains. In the beginning there are studies and models; then follows the absolute determination to execute them, which can by all means sometimes falter.
At Sculpture Projects Münster 2017, he attracted attention with a particularly large architectural sculpture, OFF OFD, in which he restaged various building components from a demolished Oberfinanzdirektion (regional tax office) building complex in Münster. In the center stood a white surrounding staircase, an original floodlight from a former parking garage, and brickwork from the outer façade. You did not have to be familiar with the original or know about it to enjoy the work, but it was helpful in order to decipher it in more detail.
This also applies to the strangely fragmented ensemble of objects on the square in front of Immermannhof, which Odzuck worked on in parallel. The improvised installation Ultra Ex Orbit seems like a decommissioned construction project seeking a new future—like a part of something that has fallen out of time and doesn’t seem to have yet found its right place. Using display boards, the artist knows how to precisely describe what the elements of the ensemble are derived from, the architectural citations that are supposed to convene here: parts of the façade of the former monastery at the Franziskaner church (used as benches), huge concrete supports, a fragment of a campanile, an iron weathercock, a towering streetlamp, and a suspended open cube from the neighboring post building.
Cast in one piece, the concrete campanile from the Franciscan monastery cleared for demolition caught Odzuck’s eye back in 2014. The initial plan was simply to preserve and relocate the bell tower. In a group exhibition, Odzuck had the tower illuminated to draw attention to it as something precious. Reconstructing the tower would have in fact been much cheaper than the almost impossible dismantling of the original, which could no longer be preserved. Odzuck was able to find a construction company to realize his reinterpretation of the Campanile ensemble, yet despite professional planning the piece could not be erected at the site for structural reasons; a disused tunnel not specified in the plans was unexpectedly “rediscovered” under the road. Once again, a crucial change of perspective was needed for the genesis of the project. Odzuck, who creatively reminds us that everything does not always have to be razed to the ground, will consider further relocations.