Wer bin ich? Das ist die Frage, die mir seit ich denken kann, gestellt wird.
Manchmal auch in der verwirrenden Variante: Was bist du?
Ich würde darauf gerne „eine Milchtüte“ antworten oder „Der Geruch eines Vogelschreis bei Sonnenaufgang“ oder „ein abstraktes Prinzip wie Religion, Wahrheit oder Identität“, doch komme ich nie dazu, weil mir immer sofort erklärt wird: Du bist eine Deutsche/keine Deutsche/eine Inderin/keine echte Inderin/eine Polin, da solltest du stolz drauf sein/genauso wie wir/genauso wie wer auch immer …
Das wäre natürlich super: So viele Identitätsangebote.
Nur, dass das keine Angebote sind, was ich spätestens merke, wenn ich sie ausschlage. Nein sagen, ist in Ordnung, wenn es um Sex geht, aber nicht, wenn es darum geht, eine natürliche Vertreterin eines so wenig natürlichen Konzepts wie „Nation“ zu sein.
Ich hatte ein Trinkspiel mit Jasmina, dass es Zeit für einen Killepitsch war, wenn der nächste Satz mit den Worten anfing: „Du musst das so sehen …“ Als wäre Sehen etwas, was ich bewusst beeinflussen könnte: Heute sehe ich den Volksgarten, morgen die Volksbühne und übermorgen den Volksaufstand.
„Ihre Nationalität ist Trinkerin“, erklärte Jasmina deswegen in der Regel. Und interessanterweise gaben sich bisher alle damit zufrieden: Aha Trinkerin, dann gehörst du natürlich dazu! Schließlich besingen wir den Alkohol in unserer Nationalhymne.
aus „Schau mir in die Augen Oberbilk“ von Mithu Sanyal