Die Berichte dauern zwischen sechseinhalb und 24 Minuten; sie handeln von Frauen und Männern. Alle Geschichten wurden von derselben jungen weiblichen Stimme eingesprochen und entziehen sich daher einer – vielleicht unbewussten – bildlichen Vorstellung von den Protagonisten. So spricht der Immigrant akzentfrei, der Düsseldorfer dialektfrei. Der oder die LadenbesitzerIn, der Obdachlose oder der Marokkaner – sie alle verbergen ihre Identität hinter der gleichen Erzählerinnenstimme. Abgesehen davon, dass Fari Shams ihre Gesprächspartnerinnen und -partner mit viel Feingefühl und Sensibilität dazu brachte, frei und unvoreingenommen zu erzählen, liegt hierin die große Stärke des Kunstwerks: mittels medialer und technischer Transformation die individuellen Erlebnisse aus einer stereotypischen Zuschreibung zu befreien.
Die Künstlerin verzichtet dabei auf eine dokumentarische Bestandsaufnahme zugunsten einer künstlerischen Intervention, die sich stärker an dem Verfremdungseffekt des epischen Theaters von Bertolt Brecht orientiert als an einer realistischen Ästhetik, wie sie zum Beispiel Michael Moores Filme prägte.
Keine der zu hörenden Geschichten, keiner der Gedanken will so recht zu der Vorstellung passen, die der Hörer sich von der Person hinter der jungen Erzählerinnenstimme macht. Es bedarf eines konzentrierten Zuhörens, um das eigene Vorstellungsvermögen hinsichtlich der Akteure auszuschalten, während man gleichzeitig die realen Handlungsorte vor Augen hat. So erzählt ein Streetworker vom täglichen Miteinander der sich ausprobierenden Teenager, der Eltern mit ihren Kleinkindern am Spielplatz und der sich um eine Sitzbank versammelnden Alkoholiker. Wenn die Sprecherin davon berichtet, dass sie durchaus Grenzen setzen und ab und zu ein Machtwort sprechen muss, so ergänzt die eigene Fantasie den realen Ort um virtuelle, mentale Bilder, und es entsteht ein innerer Film – wie in einer digitalen Ergänzung der realen Umgebung durch die Augmented Reality: a movie that defines my life is …
[1]ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe.
[2] „Wir werden einen Aufstand um die Rückeroberung der Daten erleben“ – Peter Weibel im Gespräch mit Georg Vrachliotis, in: ARCH+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus, 51. Jahrgang, Dezember 2018, S. 15
[3] Marshall McLuhan, Das Medium ist die Botschaft = The Medium is the Message, hrsg. und übersetzt von Martin Baltes, Fritz Boehler, Rainer Höltschl, Jürgen Reuß, Dresden 2001, S. 171.
[4]Augmented Reality „bezeichnet eine computerunterstützte Wahrnehmung bzw. Darstellung, welche die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitert“, so Prof. Dr. Daniel Markgraf, siehe https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/augmented-reality- 53628, (zuletzt abgerufen am 2. Mai 2019).
[5]Global Positioning System, abgekürzt GPS.