Isabella Fürnkäs
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Isabella Fürnkäs

ISABELLA FÜRNKÄS
UNPREDICTABLE LIARS

 

Ort:
Hotel Nikko, Immermannstraße 41

 

Text:
Markus Ambach

 

 

English version

Hotels sind besondere wie „andere Räume“[1] im dichten, symbolischen Gefüge der Stadt. Sie sind Orte ohne Ort, in denen es uns kurzfristig möglich ist, uns selbst zu entkommen. Der Hotelgast residiert im Niemandsland zwischen den Welten, zwischen seinen Vorstellungen von sich selbst und all jenen Charakteren, von denen er nur zu träumen wagt. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt betreten das Hotel in der eigenen Stadt dagegen nur selten. Seine nach außen verspiegelten Zimmer bleiben ihnen verschlossen, obwohl ihre Türen immer offen stehen. Die leeren Zimmer betrachten die Stadt gleich einem verborgenen Panoptikum. Im Hotel Nikko schwebt zudem ein eigentümlicher Baderaum hoch über der Stadt, eine Residenz des Fiktiven im Realen, in der die Gäste nur leicht bekleidet das tägliche Treiben der Stadtbewohner auf der Straße weit unter ihnen gelangweilt beobachten. Die Schriftzüge auf den Fensterscheiben skalieren den Raum zur invertierten Vitrine und die Stadt zum Ausstellungsstück. Mit der nebligen Entität, die das turmartige Gebäude krönt, erfüllt das Nikko die räumlichen wie psychischen Koordinaten des Hotels und seinen Nimbus als japanische Inkunabel der 1970er-Jahre in besonderer Weise.

 

Vielleicht bedarf es einer in Japan geborenen Künstlerin, um uns mit auf die Reise in einen der sichtbarsten wie verborgensten Orte der Stadt zu nehmen. Den magisch-mystischen Raum des Hotels entdeckt   Fürnkäs in der Ausstellung Von fremden Ländern in eigenen Städten als Bühne für die Aufführung eines subtilen Figurentheaters, einer Inszenierung des Fiktiven in der Turbulenz des Realen.

Ihre mit Pelzen und Textilien nur vage als Figuren skizzierten Charaktere zwischen Haute Couture und Altkleidersammlung empfangen den Hotelgast bereits in der Eingangshalle, deren gläserne Pforten sich wie von Geisterhand öffnen und schließen. Von hier, wo sie ein bedrängendes, aus blutrotem Tüll und verwelkten Pelzen drapiertes Gegenüber entworfen hat, begleitet sie den Besucher mit ihren fünf Arbeiten über die Treppe gleich hinter der Rezeption bis hinauf über die Bar, wo sie dem einsamen Gast am Tresen eine ambivalente Beobachterin beiseitestellt.

 

Die dem japanischen Nō-Theater verwandten Assemblagen, die genauso aus asiatischen Stoffen wie aus profaner Alltagskleidung oder mächtigen Seilen gefertigt sein können, organisieren das Haus zu einer gemutmaßten Erzählung, einer theatralen Choreografie von Teilräumen, Orten und Spekulationen. Gleich den Gästen, deren Avatare die Arbeiten zu spiegeln scheinen, lassen die stillen Beobachter ihre Gesichter und Gliedmaßen nur in schnell hingeworfenen Zeichnungen vorüberziehen. Ganz wie im Nō-Theater, in dem spezifische Ereignisse in über Jahrhunderte tradierten Masken, Kostümen und Erzählungen formalisiert werden, tilgen die schnellen Zeichnungen jegliche Individualität aus den Figuren. Sie bleiben trotz ihrer narrativen Physis anonym.   Fürnkäs klinkt sich so mit ihrer Arbeit kongenial in die Syntax und den inneren Diskurs des Hauses ein, um ihn zum Teil ihrer Inszenierung zu machen und die Deckung der Kunst zu verlassen. Denn ihre Figuren mischen sich fast nahtlos in die Reihen der schmucken Garderoben, zwischen die einschlägigen Träume der Gäste, in die sich verdichtenden Kofferpulks und drapierten Gepäckwagen, zwischen die eiligen Portiers und vorbeifliegenden Kleiderständer, um sie subtil in ein imposantes Bühnenbild zu konvertieren. In der fiktiven Erzählung, die sich so nahezu selbst inszeniert, erscheinen die Träume der Besucher nicht mehr als prägende Charaktere weit weg von sich selbst, sondern als monströse Schatten in taktiler Nähe zu einem sich in leeren Zeichen und Bezeichnungen ergehenden Individuum, das jeden Moment in sich selbst zusammenzufallen droht – ein idiosynkratischer Reigen der fliegenden Tücher, Talare und Häute, denen die Knochen abhandengekommen sind. Denn unter den Garderoben verbirgt sich links wie rechts und in der Mitte nur eine große Leere, die im flüchtigen Zug des Hotels ihren Geistertanz der verlorenen Identitäten aufführt – ganz ohne ein Wort zu verlieren.

 

 

[1] Dies im Sinne von Michel Foucaults Vortrag „Andere Räume“ als Heterotopien oder „reale Utopien“, die in die Gesellschaft eingeschrieben sind.

UNPREDICTABLE LIARS

 

Hotels are unusual as “other spaces[1]” in the dense, symbolic fabric of the city. They are locations without a location, where, for a short while, we can escape ourselves. Hotel guests reside in the no man’s land between worlds, between their notions about themselves and all the characters they can only dare to dream of. In contrast, it’s rare to enter a hotel in one’s own city. For residents of a city, the rooms of a hotel, with their mirrored exteriors, remain closed, although their doors are always open. The empty rooms watch the city like a hidden panopticon.

 

At Hotel Nikko, a unique bathing room floats high above the city, a fictional residence in real space, where scantily clad guests languidly watch the daily bustle of the city dwellers below. The explanatory texts on the window panes scale down the room to an inverted display cabinet and the city to an exhibit. With the misty entity crowning the tower-like building, the Nikko uniquely occupies the hotel’s spatial and psychological coordinates and its nimbus as a Japanese incunabulum of the 1970s. Perhaps we need an artist born in Japan to take us on a journey to one of the most visible yet most hidden places in the city. For the exhibition, Isabella Fürnkäs uncovers the magical, mystical space of the hotel as a stage for the performance of a subtle puppet theater, a staging of the fictional in the turbulence of the real.

Her characters, only vaguely outlined as figures with fabrics, furs, and textiles, somewhere between haute couture and an old clothing collection, welcome the hotel guest in the entrance lobby, whose glass doors open and close as if by magic. From here, where the artist creates an oppressive opponent, draped with blood-red tulle and shriveled furs, she accompanies the visitor with her five works up the stairs just behind the reception desk above the bar, where she places an ambivalent observer beside the lonely guest at the counter.

 

Related to the Japanese Nō theater, the assemblages, made from Asian fabrics as well as mundane everyday clothes or strong ropes, turn the establishment into a conjectural narrative, a theatrical choreography of subspaces, and speculations. Like the guests whose avatars appear mirrored in the works, the faces and limbs of the silent observers only pass by in quickly jotted sketches. Just as in Nō theater, where specific events are formalized in masks, costumes, and narratives handed down over centuries, any individuality is eradicated from the characters. They remain anonymous despite their narrative physicality.

With her work Isabella Fürnkäs thus inserts herself into the syntax and internal discourse of the establishment, in order to make it part of her production, too, leaving the coverage of art. Her figures blend almost seamlessly into the neat rows of wardrobes, between the guests’ cheap dreams, the packed suitcases and laden luggage carts, the hurried porters and the flying clothes rails, subtly converting them into an imposing set design.

 

In the fictional narrative, which now almost stages itself, the visitors’ dreams no longer appear as formative characters far from themselves, but as monstrous shadows in tactile proximity to an individual plunging into empty signs and designations, who could collapse inwards at any moment: an idiosyncratic round dance of flying cloth, robes, and skins that have lost their bones. For hiding under the wardrobes—to the left, right, and in the middle— is nothing but a large void that performs its ghostly dance of lost identities in the fleeting nature of the hotel—all without uttering a word.

 

 

[1] This is in the sense of Michel Foucault’s paper on “other spaces” as heterotopias, or “real utopias” inscribed in society.