Maximiliane Baumgartner | Alex Wissel
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Maximiliane Baumgartner | Alex Wissel

MAXIMILIANE BAUMGARTNER |
ALEX WISSEL
COURTROOM #3
VON FREMDEN LÄNDERN
IN EIGENEN STÄDTEN

 

 

Ort:
Eisenstraße /
Ecke Heinz-Schmöle-Straße

 

 

Text:
Maximiliane Baumgartner
Alex Wissel

 

English version

Für die mehrteilige Installation Courtroom #3 besuchten Baumgartner und Wissel 2018 den Prozess zum Wehrhahn-Attentat im Landgericht Düsseldorf. In ihrer Installation zeigen sie Entwürfe, Eindrücke, Protokolle, Gerichtszeichnungen, Aussagen von Zeuginnen und Zeugen und Widersprüchlichkeiten aus dem Prozessverlauf in Form eines fiktiven Karnevalszugs. Im Prozess angeklungene Begriffe wie „Alternative“, „Grandiosität“, „Survival“, „Fremdsein im eigenen Land“ und „Überwachung“ werden dabei innerhalb eines eigenen dramaturgischen Rahmens verarbeitet und ihre Transformationsprozesse in den letzten Jahren vor dem Hintergrund rechtspopulistischer Strukturen kritisch betrachtet. Begleitend zur Installation erschien eine neue Ausgabe der Künstlerpublikation Courtroom von Maximiliane Baumgartner und Alex Wissel, die sie gemeinsam mit Ewa Einhorn und Karolin Meunier gestalteten.

Wehrhahnwagen

 

1 S-Bahnstation Wehrhahn. Am 27. Juli 2000 wurde am Bahnhofszugang Ackerstraße in Düsseldorf ein Sprengstoffanschlag verübt. Zehn Menschen – allesamt Zuwanderer aus Osteuropa – wurden dabei lebensgefährlich verletzt; eine Frau verlor ihr ungeborenes Kind. Sechs der Opfer sind jüdischen Glaubens. Es wird ein antisemitisches und rassistisches Motiv vermutet. Auch nach dem Prozess 2018 ist die Täterschaft nicht geklärt. Ein Mahnmal, das am Ort des Anschlags an die Tat erinnert, steht bis heute aus.

 

2 Zeugenaussagen beim Wehrhahnprozess am Landgericht Düsseldorf 2018. Gerichtsbeobachtung und Zeichnung. Wie artikulieren sich rechte Strukturen in Räumen der Rechtsprechung?

 

3 Saubloder (Schweinsblase). Im alemannischen Fasnetsbrauch wird eine Saubloder an einem Holzstecken befestigt und bei Umzügen haut man damit auf den Boden (was einen großen Knall erzeugt) und berührt das Publikum. Die Saubloder gilt als Symbol für die Fleischlichkeit, das Schlagen als symbolischer Akt der Fruchtbarmachung und die „leere Hülle“ als Sinnbild für die Vergänglichkeit alles Irdischen. Gleichzeitig ist die leere Blase ein Abbild des Narren selbst (franz. fou und engl. fool „Narr“ sind abgeleitet von lat. follis – „leerer Sack“).

Fremd im eigenen Land – Doppelwagen

 

Der Wagen stellt kritisch Fragen nach den Attributen „fremd“ und „eigen“ und „Länder“ und münzt diese auf rechte, rassistische Strukturen als das eigentliche Fremde innerhalb von Gemeinschaften, die demokratisch leben wollen. Der Wagen nimmt dabei die Recherche für eine Radiosendung von Autor Sammy Khamis aus dem Jahr 2018 auf.

 

4 Buchrücken und Cover von Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik, Fischer Verlag, 1979. In der Aufsatzsammlung gehen 40 Autorinnen und Autoren der Frage nach, wie sie 35 Jahre nach der Shoah als Juden in Deutschland leben können. Seit 2004 betreibt einer der Herausgeber, Henryk Broder, zusammen mit anderen das nach eigenen Angaben liberale und prowestliche, aber auch als antiislamisch wahrgenommene publizistische Netzwerk „Die Achse des Guten“.

 

5 CD-Cover Fremd im eigenen Land von Advanced Chemistry, MZEE Records, 1992. Advanced Chemistry war eine 1987 gegründete Hip-Hop- Band aus Heidelberg, die zu den Pionieren des deutschen Hip-Hops zählt. Ihren Durchbruch schafften sie mit der 1992 erschienenen Single Fremd im eigenen Land. Das Lied beschreibt den strukturellen Rassismus, dem Migranten im deutschen Alltag begegnen.

 

6 Eine Wand bekommt Gesichter. Fassadengestaltung, Klaus Klinger, 2007, Gerresheimer Str. 69, neben der Elisabethkirche und gegenüber der S-Bahnstation Wehrhahn.

 

7 Echo, Gerd Gebhardt und Oliver Renelt, 1992. Der Echo war ein deutscher Musikpreis, der von 1992 bis 2018 jährlich vergeben wurde. Als Folge der Verleihung des Echo Pop 2018 an die Musiker Kollegah und Farid Bang entbrannte eine Diskussion um die teils antisemitischen Texte der Musiker, in deren Verlauf sich zahlreiche Medien, Künstlerinnen und Künstler, Politikerinnen und Politiker sowie Sponsoren vom Echo distanzierten. Als Folge der Kritik wurde die Vergabe des Echo eingestellt.

 

Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter

 

8 Ausschnitt aus Das Kurfürstenpaar Anna Maria Luise de’ Medici und Johann Wilhelm im spanischen Kostüm beim Maskenball, Ölgemälde, Jan Frans van Douven, 1695. Johann Wilhelm von der Pfalz (auch „Jan Wellem“ genannt) legte zusammen mit seiner Frau Anna Maria Luise de’ Medici eine der bedeutendsten Gemäldesammlungen Europas an und begründete somit den Ruf Düsseldorfs als Kunststadt.

 

9 Justizia, Fontana Martina, Heft Nr. 10, Holzschnitt, März 1932

Fontana-Martina-Wagen

 

10 Historisches Karnevalsschiff/-wagen

 

11 Protest von Antifaschistinnen und Antifaschisten am ersten Gerichtstag des Wehrhahnprozesses

 

12 Ausschnitt aus einem Gerichtsfoto. Der Angeklagte verbirgt sein Gesicht hinter einem Ordner, auf den ein Langohr gezeichnet ist.

 

13 Titelblatt, Fontana Martina, Heft Nr. 7, Holzschnitt von Clément Moreau, Januar 1932. Die Zeitschrift Fontana Martina wurde von den Künstlern Fritz Jordi und Heinrich Vogeler von 1931 bis 1933 in einem Nachbardorf der Künstlerkolonie Monte Verita im Tessin herausgegeben und behandelte den aufkeimenden Nationalsozialismus und seine Repressionen in Deutschland aus der Perspektive der Künstlerinnen und Künstler.

 

Verfassungsschutzwagen

 

14 Karnevalsmaske Esel. Eselsohren werden erstmals 1494 von Stefan Brant in Das Narrenschiff als Narrenattribut erwähnt.

 

15 Landgericht Düsseldorf

 

16 Saubloder (Beschreibung s. o.)

 

17 Geschwärztes Logo des Verfassungsschutzes

 

18 PKW-Anhänger

 

Sicherheitswagen

 

19 Fahrbare Sicherheitsarchitektur

 

20 Sicherheitsarchitektur stehend

 

21 Prozessbeobachtung, Zeugenaussage mit Google Maps, freie Zeichnung

 

Narrenwagen

 

22 Die Welt unter der Narrenkappe, kolorierter Kupferstich, um 1600

 

23 Ausschnitt aus dem Protokoll der Mobilen Beratung Gegen Rechtsextremismus NRW vom Prozesstag 8. März 2018 im Wehrhahn-Prozess. Der Hauptverdächtige des Prozesses betrieb einen Militaria-Laden, der sich gegenüber der Sprachschule befand. In Zeugenaussagen heißt es, er sei durch patrouillenartige Rundgänge mit Hund und sein rassistisches Verhalten aufgefallen und wiederholt am Tatort gesehen worden. Die Zeugin Christine W. (Sprachlehrerin) berichtete an diesem Tag laut Protokoll von einer friedlichen Empowerment-Aktion, die sie gemeinsam mit ihren Sprachschülern durchführte, nachdem die Gruppe sich mehrfach von Personen im Umfeld des Militaria-Ladens bedroht gefühlt hatte.

 

24 „Rechter Terror 2012“ – Düsseldorfer Karnevalswagen von Jaques Tilly 2012 nach der Selbstenttarnung des NSU

COURTROOM #3 VON FREMDEN LÄNDERN IN EIGENEN STÄDTEN

 

 

For the multi-part installation Courtroom #3 Baumgartner and Wissel visited the Wehrhahn attack trial at Düsseldorf District Court in 2018. In their installation they show drafts, impressions, records, court sketches, witness statements, and inconsistencies from the trial in the form of a fictional carnival procession. Terms heard during the trial such as “alternative,” “grandiosity,” “survival,” “being foreign in one’s own country,” and “surveillance” are worked through within their own dramaturgical framework, and their transformation processes over the last few years are viewed critically against the backdrop of right-wing populist structures. Accompanying the installation was a new edition of the artist publication Courtroom by Maximiliane Baumgartner and Alex Wissel, which they designed together with Ewa Einhorn and Karolin Meunier.

Wehrhahn Floats

 

1 Wehrhahn S-Bahn station. On July 27, 2000, a bomb attack was carried out at the station entrance on Ackerstraße in Düsseldorf. Ten people—all immigrants from Eastern Europe—were critically injured; one woman lost her unborn child. Six of the victims were of Jewish faith. Antisemitic and racist motives were suspected. Even after the 2018 trial, the identity of the perpetrator is still unclear. As of yet there is still no memorial at the site to commemorate the attack.

 

2 Witness statements at the Wehrhahn trial at the Düsseldorf District Court in 2018. Courtroom observation and sketch. How are right-wing structures articulated in spaces belonging to the legal system?

 

3 Saubloder (pig’s bladder). In the traditional Alemannic carnival celebrations, a Saubloder is attached to a wooden stick and is struck on the ground during parades (which creates a loud bang), touches the audience. The Saubloder is considered a symbol of carnality, and striking it a symbolic act of fertilization; the “empty vessel” is a symbol of the transience of everything earthly. The empty bladder is also a depiction of the fool himself (the French fou and the English fool are both derived from the Latin follis, meaning an empty bag).

 

 

Foreign in One’s Own Country—A Double Float

 

The float poses critical questions about the attributes “foreign,” “own,” and “countries,” and applies them to right-wing, racist structures as the real outsider within communities that want to live democratically. In doing so, the float incorporates research for a radio program by writer Sammy Khamis from 2018.

 

4 The spine and cover of Fremd im eigenen Land. Juden in der Bundesrepublik (Foreign in Their Own Country. Jews in the Federal Republic), Fischer Verlag, 1979. In this essay collection, forty authors examine the issue of how they can live as Jews in Germany thirty-five years after the Shoah. One of the editors, Henryk Broder, has been running the journalistic network Die Achse des Guten (The Axis of the Good)—which describes itself as liberal and pro-Western, but has also been perceived as anti-Islamic—together with others since 2004.

 

5 CD cover for Fremd im eigenen Land (Foreign in One’s Own Country) by Advanced Chemistry, MZEE Records, 1992. Advanced Chemistry was a hip-hop band from Heidelberg founded in 1987 and one of the pioneers of German hip-hop. Released in 1992, their breakthrough single was Fremd im eigenen Land. The song describes the structural racism that migrants encounter in everyday life in Germany.

 

6 Eine Wand bekommt Gesichter (A Wall Gets Faces). Wall mural design, Klaus Klinger, 2007, Gerresheimer Str. 69, next to the Elisabethkirche and opposite the Wehrhahn S-Bahn station.

 

7 Echo, Gerd Gebhardt, and Oliver Renelt, 1992. The Echo Awards were a German music prize awarded annually from 1992 to 2018. A debate erupted after the musicians Kollegah and Farid Bang collected the Echo Pop award in 2018 due to antisemitic parts of the musicians’ lyrics, which led to many media outlets, artists, politicians, and sponsors distancing themselves from the Echo Awards; as a result of the criticism, the awards were discontinued.

 

Procession Attendants

 

8 Detail from Das Kurfürstenpaar Anna Maria Luise de’ Medici und Johann Wilhelm im spanischen Kostüm beim Maskenball (The Elector Johann Wilhelm and his Wife Anna Maria Luise de’ Medici in Spanish Costume at a Masked Ball), oil painting, Jan Frans van Douven, 1695. Johann Wilhelm von der Pfalz (also known as “Jan Wellem”) and his wife Anna Maria Luise de’ Medici created one of the most significant painting collections in Europe and thus founded the reputation of Düsseldorf as a city of art.

 

9 Justizia, Fontana Martina, no. 10, woodcut, March 1932

 

Fontana Martina Float

 

10 Historical carnival float

 

11 Antifascist protest at the first day of the hearing of the Wehrhahn trial

 

12 Detail from a court photo. The accused is hiding his face behind a folder with a hare ears drawn on it.

 

13 Title page, Fontana Martina, no. 7, woodcut by Clément Moreau, January 1932. The magazine Fontana Martina was published by the artists Fritz Jordi and Heinrich Vogeler in a neighboring town of the artist colony Monte Verita in Tessin from 1931 to 1933. It addressed the burgeoning National Socialist movement and its repressions in Germany from artists’ perspectives.

 

Intelligence Service Floats

 

14 Donkey carnival mask. Donkey’s ears were first mentioned as one of the fool’s attributes in 1494 by Stefan Brant in The Ship of Fools.

 

15 Düsseldorf District Court

 

16 Saubloder (see above for description)

 

17 Blacked-out logo of the German intelligence service

 

18 Car trailer

 

Security Float

 

19 Mobile security barrier

 

20 Stationary security barrier

 

21 Observation of the trial, witness statements with Google Maps, free drawing

 

Fools’ Float

 

22 Fool’s Cap Map of the World, colored copperplate, circa 1600

 

23 Excerpt from the minutes of the North Rhine-Westphalia Mobile Counsel Against Right-Wing Extremism from March 8, 2018 during the Wehrhahn trial. The main suspect in the trial ran a militaria store opposite the language school. According to witness statements, he stood out in the neighborhood because of his patrol-style circuits of the area with his dog as well as his racist behavior, and he had also been seen repeatedly at the crime scene. According to the minutes, on this day the witness Christine W. (language teacher) spoke of a peaceful empowerment campaign that she carried out with her students from the language school after the group had repeatedly felt threatened by people around the militaria store.

 

24 Right Terror 2012—Düsseldorf carnival float by Jaques Tilly in 2012 after the NSU revealed themselvesSaubloder (pig’s bladder). In the traditional Alemannic carnival celebrations, a Saubloder is attached to a wooden stick and is struck on the ground during parades (which creates a loud bang), touches the audience. The Saubloder is considered a symbol of carnality, and striking it a symbolic act of fertilization; the “empty vessel” is a symbol of the transience of everything earthly. The empty bladder is also a depiction of the fool himself (the French fou and the English fool are both derived from the Latin follis, meaning an empty bag).